Meine Reportage zum Phänomen Krypto-Parties in der Dezember-Ausgabe der Wienerin:
Sie begannen in Melbourne, inzwischen steigen sie überall auf der Welt: Krypto-Partys, auf denen Computer-Nutzer nicht nur feiern, sondern auch lernen, anonym zu surfen, kodierte E-Mails zu verschicken und ihre Spuren im Netz zu verwischen. Gründerin der Bewegung ist die australische Internet-Aktivistin Asher Wolf. Und Schutz der Privatsphäre hin oder her: Sie gab uns ein Interview.
Sie ist keine Programmiererin, kein Cyber-Nerd, der das halbe Leben in virtuellen Welten wie World of Warcraft vergeudet. Überhaupt hat sie sich erst vor drei Jahren ihren ersten Laptop gekauft. Und doch hat die 32-jährige Australierin eine globale Bewegung gestartet. Einfach so. Mit einem Tweet.
Asher Wolf, unter diesem Pseudonym ist sie im Netz bekannt, ist die Erfinderin von “Krypto-Partys“, die heute in Athen ebenso stattfinden wie in Singapur, Kairo, Chicago oder Wien (siehe Kasten S. 60). Dabei lernen User, sich im Netz sicher und ungestört zu bewegen. Das heißt: frei von der Überwachung durch Behörden und von der unstillbaren Neugier datengeiler Konzerne wie Google und Facebook. Verschlüsselungssoftware – bisher Geheimdiensten, Behörden und einer Minderheit von Technik-Aficionados vorbehalten – wird dank Krypto-Partys ein Werkzeug für die Massen.
“Der Schutz der Privatsphäre ist in der Menschenrechtskonvention festgeschrieben“, sagt die alleinerziehende Mutter eines dreijährigen Sohnes. “Aber in Wahrheit war sie noch nie so in Gefahr wie jetzt. Es ist das Thema des 21. Jahrhunderts.“
Am Anfang war der Tweet. Alles begann mit einer Konversation auf dem Mikroblogging-Dienst Twitter im vergangenen August, die Asher, im Brotberuf Social-Media-Verantwortliche, mit ihrem Kollegen Mikey hatte. Die beiden unterhielten sich über das soeben beschlossene australische Cybercrime-Gesetz, das eine Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten für Ermittlungsbehörden und einen erleichterten Informationsaustausch zwischen Behörden verschiedener Staaten vorsieht. Dass das Gesetz massiv ins Privatleben jedes Einzelnen eingreifen würde, war Asher und Mikey sofort klar. Nur nicht, wie sich die Bürgerinnen und Bürger gegen mögliche Grenzüberschreitungen am besten zur Wehr setzen könnten. “Wir haben herumfantasiert, Gedanken fortgesponnen“, erzählt Asher. Irgendwann seien sie auf Kryptographie und Partys gekommen – und dass beides gut zusammenpasst.
Als Asher dann die Nachricht “Ich will eine fette Melbourne-Krypto-Party! Laptops, Bier, & Musik. Bestimmen wir Zeit und Ort. Wer ist dabei?“ tweetete, hatte sie noch keine Ahnung, was sie damit auslösen würde. “Es war eines dieser Gespräche, das man am Abend um zehn Uhr führt und sich gar nicht so viel dabei denkt“, erzählt sie. “Aber am nächsten Tag stehst du auf, und plötzlich tweeten zehn Leute von irgendwo auf der Welt, dass sie jetzt Krypto-Partys organisieren.“ In Berlin, Canberra und Cascadia standen die ersten Termine bereits fest, in zwölf weiteren Staaten begann die Suche nach geeigneten Party-Locations. Und als sich in Melbourne zwei Wochen später 60 Interessierte in einer alten Fabrikshalle trafen, waren die Partys bereits ein weltweiter Trend.
Digitale Selbstverteidigung. Zusammen mit Freunden erstellte Asher eine Wiki – eine offene Datenbank – zu dem Thema, in der sich Interessierte, Organisatoren und Experten für Workshops zusammenschließen. Auch ein Handbuch findet sich im Netz – mit über 400 Seiten Krypto-Tipps und den Grundsätzen der Bewegung.
Bei den “digitalen Selbstverteidigungskursen“ – so nennt das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel die Veranstaltungen – lernen Computernutzer, ihre Daten geschützt zu lagern, abhörsichere Chat-Räume zu erstellen, verschlüsselte E-Mails zu schicken oder sich vor Datenjägern zu verbergen. Dies gelingt mithilfe von Programmen wie der Suchmaschine Duck Duck Go, die – anders als Google – nicht die Suchanfragen der Nutzer sammelt. Es gelingt mit Verschlüsselungssoftware wie Pretty Good Privacy (PGP) oder der Programm-Palette Tor und Off The Record Messaging (OTR).
Als dezentrales, von Userinnen für User gestaltetes Event ist das Programm bei jeder Party an jedem Ort ein bisschen unterschiedlich, erklärt Asher. “Wenn kein Experte bei der Party auftaucht, müssen die Teilnehmer eben voneinander lernen und sich so weiterentwickeln“, sagt sie. “Das geht auch.“
Hilfe zur Selbsthilfe. Warum ist es aber überhaupt so wichtig, Nachrichten zu verschlüsseln und sich im Internet geheimnisvoll umzutun? Man hat doch gar nichts zu verbergen … Auf derlei Fragen, die von Verschlüsselungs-Gegnern gern ins Treffen geführt werden, hat Asher eine klare Antwort: “Privatsphäre entspringt der Menschenwürde. Wenn ich ins Bett gehe, schließe ich die Vorhänge. Wenn ich aufs Klo gehe, mache ich die Tür zu. Das hat nichts mit Geheimniskrämerei zu tun.“ Jeder Mensch sollte das Recht haben, auf einer Parkbank zu sitzen, sich die Bäume und die Vögel anzuschauen und einen sonnigen Nachmittag zu genießen. “Diese Freiheit, allein und unbeobachtet tun zu können, was man will, sollte den Menschen auch zustehen, wenn sie im Netz surfen. Was immer ich mir anschauen mag, sollte ich mir anschauen können, ohne dass mich dabei eine Behörde oder ein Unternehmen beobachtet.“
Dass sie beobachtet wurde – und deshalb bis heute unter Pseudonym im Netz operiert -, weiß Asher nur zu gut. Nicht erst einmal, berichtet sie, habe sie als Unterstützerin der globalen Netzbewegungen Occupy und Wikileaks Morddrohungen erhalten.
Ob eines Tages alle Menschen ihren elektronischen Briefverkehr durch ein Verschlüsselungssystem schicken, glaubt auch Asher Wolf nicht. Aber immer mehr Menschen würden von derartigen Technologien Gebrauch machen. Im Zusammenschluss der Bürgerinnen und Bürger gegen einen sich immer mehr Rechte herausnehmenden Staat sieht sie – neben einer Änderung des Verhaltens im Umgang mit scheinbar kostenlosen Service-Anbietern, die ihre Profite mit den Daten der User machen – die einzige Chance, die Privatsphäre als schützenswertes Gut zu bewahren.
“Auf längere Sicht werden wir ohne massive gesetzliche Änderungen nicht auskommen“, ist Wolf überzeugt. “Meine Großeltern wären geschockt über die Masse an persönlichen Daten, die wir heutzutage so leichtfertig preisgeben.“