Kommentar: Schrott, Straßen, Speckgürtel: warum Klimapolitik scheitert

Als der damalige VP-Umweltminister Martin Bartenstein 1997 in Kioto seine Unterschrift unter das UN-Klimaprotokoll setzte, kommentierte er vollmundig: „Das war nur ein Anfang. Wir haben den Fuß in der Tür, die wir in den nächsten Jahren aufstoßen müssen.“ Zwölf Jahre später zeigt sich, dass die Tür in der Zwischenzeit nicht aufgestoßen wurde, sondern vernagelt.

Der Klimabericht der EU-Kommission von vergangener Woche ist ein weiterer Beleg dafür: Das Land verfehlt als einziges der alten EU-15 seine vertraglichen Ziele bei der Emissionsreduktion. Die Gründe dafür sind eine einlullend günstige Ausgangslage zu Beginn der 90er-Jahre sowie Feigheit und Fantasielosigkeit. Das zeigte sich etwa, wenn Wirtschaftsminister – unter ihnen auch Bartenstein, der dieses Ressort später übernahm – die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen im Dienste der Industrie hintertrieben. Das zeigte sich beim Ökostromgesetz, das man zugunsten der Energiekonzerne in lendenlahmer Fassung beschloss.

Vor allem zeigt es sich beim Autoverkehr, der für ein Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich ist und dessen Anteil stetig wächst.

Statt auf den Verzicht fossiler Brennstoffe und auf ein geringeres Verkehrsaufkommen hinzuwirken, setzt die Politik kontraproduktive Anreize: Sie bietet Verschrottungsprämien, treibt die Zersiedelung voran, baut Umfahrungen, Tunnelröhren und legt Bahnlinien still. Sie will sogar den Gütertransport von der Schiene auf die Straße verlagern.

Keine leichte Ausgangslage für die österreichischen Verhandler in Kopenhagen. Wenigstens kann diesmal keiner behaupten, dass in Österreich alles zum Besten stünde.

“Falter” Nr. 47/09 vom 18.11.2009 Seite: 6 Ressort: Falter & Meinung

„Unsere Freiheit endet im Stau“

Gegen Verkehr, Zersiedelung, Apathie: Wie Claus Leggewie die Klimakrise kleinkriegen will

Matthias G. Bernold im Gespräch mit Claus Leggewie

Man könnte Claus Leggewie einen Hans Dampf in allen Gassen nennen. Der deutsche Kulturwissenschaftler forschte über Terror und Medien, verfasste Bücher über die Türkei und Europa, Bosnien nach dem Bürgerkrieg, die Globalisierung und den weltpolitischen Einfluss der USA. In seinem jüngsten Buch befasst sich Leggewie mit dem Klimawandel, und er entwirft die Utopie einer neuen Gesellschaft.

Falter: Warum ist Klimawandel ein Thema für einen Kulturwissenschaftler?

Claus Leggewie: Klimawandel heißt Kulturwandel. Und die Art und Weise wie wir das Klima – etwas das wir nicht riechen, schmecken und fühlen können – erfahren, ist kulturell geprägt. Die Naturforscher haben lange naiv geglaubt, dass die Menschen ihr Verhalten ändern würden, wenn man nur über die abstrakte Bedrohung aufklärt. Das geschieht aber nicht. Deswegen sind Kulturwissenschaftler gefragt, weil sie die symbolische, emotionale und Verhaltensebene in den Blick nehmen.

In Ihrem Buch führen Sie aus, dass mit den Rohstoffen auch die Errungenschaften der westlichen Moderne – Marktwirtschaft, Zivilgesellschaft und Demokratie – zur Neige gehen. Am Horizont lauert die Megakrise. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Leggewie: Die Erschöpfung der Marktgesellschaft hat man an der Wirtschaftskrise gesehen. Wir haben es mit dem größten Marktversagen der Geschichte zu tun. Es ist eben nicht so, dass alles eingepreist wird und die unsichtbare Hand des Marktes zu den erwünschten Resultaten führt. Gerade beim Klimawandel besteht ein Regulierungsproblem, für das die uns zur Verfügung stehenden nationalstaatlichen Instrumente nicht reichen. Es fehlt eine neue Architektur globaler Kooperation.

Als Gegenmaßnahme schlagen Sie in Ihrem Buch eine große gesellschaftliche Transformation vor: Bitte skizzieren Sie diesen Wandel.

Leggewie: Da sich das Gelegenheitsfenster zur Klimaschutzpolitik rasch schließt, ist breites Gegensteuern durch Gesetze und Marktanreize erforderlich, eine noch nie dagewesene Technologieentwicklung und erhebliche Lebensstiländerungen im Zeitraffertempo. Gleichzeitig müssen wir unseren Lebensalltag entschleunigen und uns von den Mustern industrieller Dynamik trennen, die am Wachstumsfetisch hängen. Ohne eine neue Kultur der politischen Partizipation der Bürger, die den Fernseher abstellen und aktiv werden, schaffen wir das nicht.

Wie muss sich unser Leben ändern?

Leggewie: Wir müssen an den großen drei Klimasünden ansetzen. Erstens: Unsere Ernährungsweise darf nicht länger die Ressourcen der Welt plündern. Zweitens: Unsere individuelle Mobilität muss energieeffizienter und reduziert werden. Drittens: unsere verschwenderische Raumnutzung muss urbanen, verdichteten Lebensräumen mit intelligenten Verkehrskonzepten weichen.

Sie kritisieren die Reparaturmaßnahmen in der Wirtschaftskrise als Bruch des Generationenvertrages, weil überkommene Industrien auf Pump erhalten werden und kein nachhaltiger Umbau betrieben wird. Hätten Sie die Konjunktur nicht gestützt?

Leggewie: Doch. Die Frage ist nur wie. Länder wie Südkorea oder China haben es vorgezeigt. Dort gibt es viel mehr Grün in den Stimulus-Packages als in den USA und Europa. Eine Abwrackprämie Umweltprämie zu nennen, zeigt ja, wie schlecht das Gewissen derjenigen sein muss, die so einen Blödsinn veranlassen. Fünf Milliarden Euro wurden ausgegeben, die nun nicht für eine energiepolitische Wende zur Verfügung stehen. Das Irre ist: die Politiker, mit denen man redet, wissen das, und die die Prämie in Anspruch nehmen auch. Weil wir wie die Junkies von der strukturellen und symbolischen Bedeutung des Automobils abhängig sind. Die Deutschen versichern selbstverständlich die Chromfelgen ihrer Autos, wären aber nicht bereit für eine Pflegeversicherung im Alter zu zahlen.

Aber es gibt eine kräftige Umweltbewegung. Menschen organisieren sich im Internet, grünes Gedankengut wird politischer Mainstream, und seit zwei Jahren ringen die Staaten um ein neues Klimaschutzabkommen, das in Kopenhagen unterzeichnet werden soll. Da tut sich doch was …

Leggewie: Das ist ja die Botschaft unseres Buches. Das Problem sind die vielen Meinungsführer und Schwerst-Intellektuellen, die uns mit Kopfschütteln begegnen und die sagen: Das schaffen wir nie. Als Trittbrettfahrer des Wohlstands und des Friedens der vergangenen 30, 40 Jahre, starren die 68er voller Pessimismus auf die nachfolgenden Generationen und sagen: So, das war’s. Diese Sorte von Defätismus und Zynismus der Meinungsführer ist lähmend.

Die Aussichten sind ja tatsächlich nicht rosig. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Pensionen gelten als unsicher, die Generation Praktikum taumelt von einem prekären Dienstverhältnis ins nächste, und dazu der Klimawandel mit seinen Horrorszenarien. Davon auszugehen, dass man den Lebensstandard der Eltern nicht mehr erreichen wird, ist doch nachvollziehbar.

Leggewie: Natürlich, aber das macht auch Spaß.

Wie meinen Sie das?

Leggewie: Das meiste, was wir als Freiheitsgewinn durch Wohlstand, Mobilität, Gourmetküche und so weiter erleben, ist Zwangsbeglückung oder oberflächliche Ablenkung. Die Freiheit, Auto zu fahren endet beispielsweise im Stau auf der Südosttangente. Mobilität ist oft Zwangsmobilität, weil man zur Arbeit oder in den Supermarkt fährt, die so weit weg sind.

Reden Sie uns den Verzicht schön?

Leggewie: Wir müssen uns auf Änderungen des Lebensstils einstellen, die wir aber nicht als Verzicht, sondern als Entlastung von Scheinfreiheiten und Zugewinnmöglichkeiten durch eine vita activa begreifen müssen. Dazu gehört auch die Möglichkeit einer stärkeren politischen Partizipation, um überkommene Parteien- und Ressortpolitik, für die Österreich das beste Beispiel ist, aufzubrechen.

Sind die Hochschulproteste, wie wir sie gerade erleben, ein Beispiel für eine politische Partizipation in Ihrem Sinn?

Leggewie: Im Kern ist es das, was wir uns als Form der außerparlamentarischen Opposition erhoffen. Ich wünschte mir allerdings Protestbewegungen zu erleben, die nicht bloß von einem pseudo-gewerkschaftlichen Gesichtspunkt und der Verteidigung von Besitzstandswahrung motiviert sind oder davon, die Piefkes von den Unis wegzukriegen. Das große Ganze einer Bildungsreform sollte sich der Frage widmen: wie richten wir uns die Welt von morgen ein?

Wo geht es nur um Wahrung von Besitzständen und wo um die Gestaltung einer besseren Welt?

Leggewie: Ich denunziere materielle Interessenvertretung nicht. Ich wundere mich sogar, welchen Abbau des Wohlfahrtsstaates wir ohne nennenswerte Massenproteste zugelassen haben. Ich hätte nur die Vorstellung, dass zum Klein-Klein des Interessenkampfes Zukunftspathos tritt.

Wenn man Sie einen weltfremden Utopisten nennt, würde Sie das stören?

Leggewie: Nein. Da bin ich stolz drauf. Blamiert haben sich doch gerade die „Realisten“.

Zwei Fragen hätte ich noch: Welches Auto fahren Sie? Und: Auf wieviel Quadratmeter Raum wohnen Sie?

Leggewie: Solche Fragen finde ich überflüssig. Ich gebe nicht den Ökoengel und kann meine Thesen als Klimasünder genauso vertreten.

Mich interessiert, wie Sie es als Autor, der einen nachhaltigen Lebensstil einmahnt, persönlich mit dem Klimaschutz halten.

Leggewie: Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ich habe einen spritschluckenden Oldie vor der Tür und fahre fast nur mit der Bahn, und in meiner Riesenaltbauwohnung herrscht eine durchschnittliche Raumtemperatur von 18 bis19 Grad. Dadurch und durch vieles andere unterschreitet mein ökologischer Fußabdruck den Mittelklassedurchschnitt nachweislich bei weitem.

Zur Person:

Claus Leggewie (geboren am 27. März 1950 in Wanne-Eickel) ist Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.  1995 und 2006 war Leggewie Visiting Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien

Leggewie, Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten S. Fischer, 278 S., € 19,95

“Falter” Nr. 47/09 vom 18.11.2009 Seite: 16 Ressort: Politik

Es wird heiß!

Noch 100 Tage bis zur Weltklimakonferenz. Wie schlimm steht es um den Planeten? Eine Erkundungstour.

Hans Lindler auf dem Dach der Wetterstation am Sonnblick
Hans Lindler auf dem Dach der Wetterstation am Sonnblick

Wenn seine zehntägige Schicht vorbei ist, schnallt der gelernte Tischler Hans Lindler Steigeisen an und stapft über die Schneefelder hinab ins Mölltal zu seiner Frau. Schon 35 Jahre lang macht er das so. Seine Nachfolger allerdings werden für den Weg von der Wetterstation vermutlich keine Steigeisen brauchen. Denn das Goldberg-Kees am Hohen Sonnblick schmilzt schneller als jeder andere Gletscher in Österreich.

Seit dem Jahr 1886 beobachten Wissenschaftler das Wetter vom 3106 Meter hohen Sonnblick in der Tauernregion. Heute geschieht dies mit einem Arsenal modernster Instrumente, die ihre Fühler in den Wind strecken, um Feuchtigkeit, Windstärke, Temperatur und Luftdruck zu messen. Sondierungsstollen schneiden metertief ins Gestein, um Druckunterschiede und Permafrost auszumachen. Spektralradiometer zeichnen die UV-Strahlung auf, kreisförmige Scheiben aus Papier in futuristisch anmutenden Apparturen sammeln Staubpartikel aus der Luft.

Lindler betreut und wartet die Instrumente, betrachtet die Wolken am Himmel und erlebt, wie sich Gewitter zusammenbrauen und entladen. Wenn er seinen Blick schweifen lässt, sieht er heute ein anderes Bergpanorama als vor 30 Jahren. „Früher waren hier fast keine Steine zu sehen“, erinnert er sich. „Ab 2400 Meter war nur Schnee und Eis.“

Das Observatorium am Hohen Sonnblick auf 3106m. Seit 123 Jahren wird hier das Wetter beobachtet
Das Observatorium am Hohen Sonnblick auf 3106m. Seit 123 Jahren wird hier das Wetter beobachtet

Am Hohen Sonnblick stiegen die Temperaturen seit Anfang der 80er-Jahre im Jahresmittel um mehr als zwei Grad Celsius. Was nach Lappalie klingt, macht im hochalpinen Bereich einen Riesenunterschied. Die Skifahrer quälen sich über apere Stellen, Hütten auf tauenden Permafrostböden drohen einzustürzen. Und die Gletscher sind, was Schönwetter angeht, die ärgsten Sensibelchen: Sie lösen sich einfach auf. Verglichen mit anderen Folgen der Erderwärmung zählt das Verschwinden der Gletscher wahrscheinlich zu den geringeren Übeln. Aber die Dynamik des Klimawandels wird selten so gut sichtbar. Kein Wunder, dass die Umweltschutzorganisation Greenpeace am Goldberg-Kees ihre Aktion gegen die globale Erwärmung veranstaltet. „Gletscher sind die Pandabären des Klimaschutzes“, sagt Wolfgang Schöner von der Zentralanstalt für Meteorologie.

Milliarden Tonnen Eis schmelzen

Es ist ein Prozess, auf den die Welt nach Jahren der Ignoranz jetzt mit Entsetzen blickt. Getrieben von Fluten, Wirbelstürmen und Jahrhundert- unwettern, begünstigt von der Wirtschaftskrise und einem ehrgeizigen US-Präsidenten, rückt der Klimaschutz in der Prioritätenliste der internationalen Politik ganz nach oben. Die Ziele des Kioto-Protokolls von 1997, mit dem die Unterzeichnerstaaten klimaschädliche Gase bis 2012 um 5,2 Prozent reduzieren wollten, mag man verfehlt haben, aber der multilaterale Vertrag markierte wenigstens einen ersten Schritt. Inzwischen signalisieren selbst die bockigsten Blockierer unter den Staaten – die USA, China und Russland – ein Umdenken. Für den großen Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember, bei dem sich auch die Entwicklungsländer Emissionsbeschränkungen unterwerfen sollen, ist die Grundstimmung unter Experten vorsichtig optimistisch.

Es könnte allerdings bereits zu spät sein. „Der Klimawandel kommt nicht, er ist bereits da“, warnt etwa Österreichs bekannteste Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, „und es ist überhaupt keine Frage, dass er weitergehen wird.“ Bereits jetzt sind die Konsequenzen der Erderwärmung dramatisch. Der Meeresspiegel etwa ist heute bereits 20 Zentimeter höher als im Jahr 1880, was als direkte Folge des Temperaturanstiegs gilt. In Grönland schmelzen jährlich 140 Milliarden Tonnen Festlandeis. In der Antarktis sind es 200 Milliarden Tonnen. Der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aus dem Jahr 2007, der die Ergebnisse der Klimaforschung zusammenfasst, geht für dieses Jahrhundert von einem Anstieg des Meeresspiegels zwischen 18 und 59 Zentimetern aus. Inzwischen gelten selbst diese Prognosen als überholt. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, einer der Leitautoren des IPCC-Berichts, rechnet damit, dass es wohl 0,5 bis 1,5 Meter sein werden.

Millionen Menschen, die weniger als einen Meter über dem derzeitigen Meeresspiegel leben, sind dadurch bereits jetzt in ihrer Existenz bedroht. Teilweise können sie nur leben, wo sie leben, weil ausgedehnte Deichanlagen die Wassermaßen bändigen, so etwa in den Niederlanden. Die Hilfsorganisation Oxfam veröffentlichte kürzlich eine Studie, wonach bis zum Jahr 2050 bis zu 75 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Betroffen sind vor allem Flussdeltaregionen in Asien und tief liegende Atolle wie die Malediven, die Marshall-Inseln, Tuvalu oder die Carteret-Inseln in Papua-Neuguinea, aber auch deutsche Küstengebiete und Großstädte wie New York City. „Was dort heute als Jahrhundertflut gilt, das werden wir bei einem Anstieg um einen Meter wohl alle drei Jahre sehen“, sagt Rahmstorf, „aber die Welt erwacht erst, wenn sich die Katastrophen häufen.“

Hurrikan Katrina als Weckruf

Bild: Greenpeace-Aktion zur Kampagne für den Klimaschutz auf dem Goldberg-Kees
Bild: Greenpeace-Aktion zur Kampagne für den Klimaschutz auf dem Goldberg-Kees

Wie ein Weckruf wirkte in den USA die Flutkatastrophe von New Orleans 2005, als Hurrikan Katrina mit einer Geschwindigkeit von 280 km/h über Florida und Louisiana fegte und eine Flutwelle schlug, die ganze Stadtteile fortspülte. Fast 3000 Menschen kamen ums Leben, Hunderttausende wurden obdachlos. Die Katastrophe beendete eine Phase, in der die globale Erwärmung viele kalt ließ. Das Obskure daran: Gerade in New Orleans verursacht weniger der Klimawandel, sondern die leichtsinnige Stadtplanung das Desaster. Die Flut leitete dennoch einen Paradigmenwechsel ein. Nach einer von kurzsichtigen Interessen der US-Industrie dominierten Politik unter George W. Bush knüpft der neue US-Präsident Barack Obama an die Klimapolitik des früheren Vizepräsidenten Al Gore an. In den USA soll es erstmals ein bundesweites Klimagesetz geben, das die CO2-Emissionen bis 2020 um 17 Prozent und bis 2050 um 83 Prozent senken wird. Vorausgesetzt, es tritt jemals in Kraft. Im Juni passierte die Vorlage mit knapper Mehrheit das Abgeordnetenhaus, im September wird es in den Senat gelangen.

Woran der Klimawandel schuld ist

Forscher bestreiten heute weder die Erderwärmung noch, dass der Mensch diese Entwicklung maßgeblich verursacht hat. Die wenigen, die jetzt noch Zweifel äußern, fallen unter die Kategorie „wunderlich“, wie der tschechische Staatspräsident Václav Klaus. Während die durchschnittlichen CO2-Werte über Jahrmillionen bei 280 ppm (parts per million) lagen, erreichen sie inzwischen 385 ppm, berichtet das Wissenschaftsmagazin Science. Das entspricht einem Plus von fast 40 Prozent. Weil Menschen dazu neigen, Probleme ab einer gewissen Größe eher zu verdrängen als sich damit auseinanderzusetzen, führen Umweltaktivisten gerne Unwetter ins Treffen, denen angeblich mit ressourcensparender Lebensweise, Radfahren und Termofenstern begegnet werden kann. Allerdings ist es unter den Meteorologen heftig umstritten, welche Unwetter nun auf den Klimawandel zurückzuführen sind und welche nicht.

Ernest Rudel, Leiter der Abteilung Klimaforschung an der Zentralanstalt für Meteorologie, ortet in dieser Angelegenheit viel Desinformation. „Bei jedem Wirbelsturm in der Karibik, bei jedem größeren Hagelsturm wird erklärt, der Klimawandel sei schuld“, meint der Mann von der Hohen Warte, „das ist Klimaschutz auf Kindergartenniveau.“ Seit jeher sei das Wetter größten Schwankungen unterworfen gewesen – Unwetterkatastrophen gehörten dazu.

Rudel steht im Universum der Meteorologen auf Seiten derer, die beruhigen. Für seine skeptische Haltung gegenüber alarmistischen Prognosen ist er ebenso bekannt wie für sein kompliziertes Verhältnis zu Helga Kromp-Kolb, die mit ihren etwas aufgeregteren Botschaften die mediale Achtung auf sich zieht. Hinter dem Zwist zwischen der Boku und der Zentralanstalt steht ein langjähriger Konflikt, der mit unterschiedlichen Ministeriumszuständigkeiten, Werben um die Forschungsförderung und mit persönlichen Animositäten zu tun hat.

Mit seiner Einschätzung des Zusammenhangs von Wetterkapriolen und Klimawandel steht Rudel nicht alleine da. Auch wenn die Vereinten Nationen davon ausgehen, dass neun von zehn Katastrophen in Afrika mit dem Klima in Zusammenhang stehen. Eine mittelmäßig optimistische Prognose nimmt an, dass die durchschnittliche Oberflächentemperatur auf dem Kontinent bis 2100 um drei bis vier Grad steigen wird, eineinhalbmal mehr als im globalen Durchschnitt. Bei der Niederschlagsmenge wird es große Unterschiede geben: Drohende Dürren im Süden des Kontinents und an der Mittelmeerküste, mehr Regen im tropischen Teil Afrikas und im Osten. „Die Regenzeiten werden sich durch den Klimawandel verschieben“, sagt Herbert Formayer vom Institut für Meteorologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. Dort, wo es bisher trocken war, wird es nass, wo bisher viel Regen fiel, droht Verödung. Während reichere Gebiete wie Australien die Ernteausfälle durch Lebensmittelimporte kompensieren könnten, wird es Afrika an Geld fehlen.

Nationale Sicherheit in Gefahr?

Diese düsteren Prognosen machen es notwendig, den Klimawandel nicht länger nur als ökologisches Problem derjenigen zu sehen, die zufällig am falschen Breitengrad wohnen. Erst kürzlich fand sich im Pentagon eine Arbeitsgruppe zusammen, die sich mit dem Klimawandel als Angelegenheit der nationalen Sicherheit befasst. 165 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2100 – wie im IPCC-Bericht geschätzt – lassen die Strategen erschaudern. In den nächsten 20 bis 30 Jahren, glaubt das US-Verteidigungsministerium, könnten in den Regionen südlich der Sahara, im Mittleren Osten und in Südostasien Verteilungskämpfe um Nahrung und Wasser losbrechen. Heftiger als je zuvor. Otmar Höll vom Österreichischen Institut für Internationale Politik sieht in der Änderung des Blickwinkels eine Chance. „Jahrelang haben die Industrie und auch die von der Indus- trie bezahlte Wissenschaft in den USA verhindert, dass global weiterdiskutiert wurde und dass sich die USA Klimaschutzbestimmungen unterwarfen“, sagt der Politologe, „jetzt wird das Thema auch vom mächtigen Militär geboostet.“

Auch die Wirtschaftskrise erwies sich für den Klimaschutz als nützlich. Zum einen produzierten die Fabriken mit geringerer Auslastung und emittierten so weniger CO2. Zum anderen verpflichtet das Schlamassel in der Autoindustrie zur Neuorientierung auf alternative Industriezweige. China hat die Zeichen der Zeit bereits erkannt und investiert Unsummen in Umwelttechnologien. In Österreich, das im jährlichen Klimaschutzranking einen Platz hinter China auf Platz 50 eingestuft wurde, hat Umwelttechnologie derzeit einen Anteil von rund 4,2 Prozent an der Sachgütererzeugung. Sechs Milliarden Euro werden laut Wifo in dieser Industrie umgesetzt. Der Anteil hat sich damit zwar seit 1993 verdoppelt. Aber als dominierend kann man den Wirtschaftszweig Umwelttechnologie nicht gerade bezeichnen.

Klimagipfel von Kopenhagen

Ob der Klimaschutzgipfel in Kopenhagen dafür sorgt, dass die Regierungen ihre Gesetze ökologiefreundlicher gestalten, ist derzeit noch ungewiss. Angestrebt wird ein Nachfolgeabkommen für das 2012 auslaufende Kioto-Protokoll. Die Europäische Union hat beschlossen, ihren Kohlendioxidausstoß bis 2020 um ein Fünftel zu senken. Die Entwicklungsländer sollen mit Milliarden an Hilfsgeldern zum Unterschreiben gelockt werden. „Ich erwarte mir sehr viel von Kopenhagen“, sagt Herbert Formayer vom Institut für Meteorologie an der Boku und spricht aus, was viele Wissenschaftler hoffen, „mit Barack Obama stehen die Chancen so gut wie nie zuvor. “

Vorsicht beim Aufstieg! Die listigen Ziegen stehlen Wanderern gern die Müsliriegel aus dem Sack.
Vorsicht beim Aufstieg! Die listigen Ziegen stehlen Wanderern gern die Müsliriegel aus dem Sack.

Während Umweltaktivisten und Klimaforscher gespannt auf Kopenhagen warten, lugt Sonnblick-Beobachter Hans Lindler gelassen vom Dach des Observatoriums ins grüne Tal. Er hat eine andere Einstellung zur globalen Erwärmung, geprägt von langen, dunklen Wintermonaten in der Einsamkeit. „Ich find das Gletscherschmelzen nicht so schlimm“, sagt er, „die Flechten wachsen immer weiter hinauf. Und das ist doch auch etwas Schönes, wenn’s grüner wird. Schnee und die Steine kann ich schon nicht mehr sehen.“