
„Sie haben auf dem Dach Scharfschützen postiert, sagst Du?“ fragt gerade Aaron Thompson, ein schlaksiger junger Mann mit Baseballkappe, Brille und Kopfhörern, „was machen sie jetzt genau? Wie weit bist du entfernt?“. Thompson unterhält sich mit seinem Reporter draußen auf der Straße und schreibt, was ihm der erzählt, direkt auf seine Webseite www.utahamicus.com.
Thompson gehört zum erlesenen Kreis jener 65 Blogger, denen die Demokraten direkt im Pepsi Center ein Büro eingerichtet haben. Zum ersten Mal haben die so genannten Citizen Journalists – meist sind das Leute, die hauptberuflich etwas anderes machen – die Gelegenheit, direkt von einem politischen Ereignis dieser Größenordnung zu berichten. Dass sie zugelassen wurden, sagt viel über ihre Wichtigkeit in Zeiten eines auch im Internet erbittert geführten Präsidentschaftswahlkampfs. Doch was vermögen Blogger, das die etablierten Medien nicht ebenso könnten?
„Es ist oft so, dass sich Blogger mehr trauen als die etablierten Medien“, sagt Thompson, der von Beruf eigentlich Gerichtsdiener in Utah ist. „Oft gibt es Scoops: Blogger decken etwas auf, das erst Tage später von den großen Zeitungen aufgegriffen wird.“
Das Untergeschoß des Pepsi Center gehört zur Gänze den Medien. Es wuselt in den Gängen. Fernsehstationen haben Studios eingerichtet. Menschen tragen Kameras, Kabeltrommeln und Tonbandgeräte. Thompson sitzt zusammen mit den anderen Bloggern an einem Schreibtisch in einem Raum, der mit Aluminiumplatten verkleidet ist. Fernseher übertragen die Reden der demokratischen Politstars. Von den Printjournalisten, die nebenan in einer Turnhalle sitzen, sind die Blogger getrennt. Eine Vorzimmerdame kontrolliert jeden Eintretenden, ob er die gelbe Blogger Karte vorweisen kann.
Mit einem Team von drei Leuten ist die Non Profit Organisation „Center for American Progress“ angerückt. Es ist, wie Redakteurin Kay Steiger erklärt, ein Blog für junge, politikinteressierte Leute: „Wir machen Portraits von jungen Delegierten und konzentrieren uns auf Jugendthemen wie Bildung“, sagt Steiger. „Weil die Mainstream Medien nur einen kleinen Teil des Konvents abdecken, sind vor allem die Blogger erfolgreich, die sich ein bestimmtes Thema herauszusuchen.“
Der Konvent bietet ein unüberschaubares Programm auch abseits der Pepsi Halle. Unzählige Briefings, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Cocktails und Partys geben den demokratischen Delegierten die Möglichkeit zum Austausch. In Hotels und anderen Veranstaltungshallen treffen sich die Demokratischen Senioren und Agrarwirte, die Demokratischen Indigenen und die Jugendorganisationen. „Der Hauptzweck des Konvents“, erklärt Rob Anderson von http://www.americanprogress.com, „ist es, die Delegierten zu energetisieren und aufzustacheln. Sie sind es ja, die in ihren Gebieten die Leute motivieren, wählen zu gehen.“
Dass die Medienwelt ihr Blickfeld auf Denver verengt hat, habe allerdings auch Schattenseiten, räumt er ein. „Natürlich könnte man sagen, die wahren Geschichten sind anderswo. Die USA führen in zumindest zwei Staaten Krieg. Überall auf der Welt gibt es humanitäre Katastrophen. Das sind sicher die wichtigeren Ereignisse. Aber die Convention ist dennoch ein historischer Moment.“
Dass die Blogger in die erlauchten Kreise der renommierten Medien eindringen konnten, hat auch mit deren Schwäche zu tun. Als der zweite Irakkrieg losbrach – ließen sich selbst hervorragende Zeitungen wie die New York Times in die Regierungspropaganda einspannen. Es waren unabhängige Blogger, die Widersprüchlichkeiten anprangerten. Webseiten wie die Huffington Post – eine Sammlung von Blogs prominenter Autoren – mauserten sich zur Speersspitze der Regierungs- aber auch der Medienkritik. „Es ist gut, dass sie uns reinlassen“, sagt Steiger, „ich denke, dass die Blogger heute so etwas wie die Watchdogs für den Mainstream-Journalismus sind.“
Die Tätigkeit der Blogger kann man freilich auch kritisch sehen. Citizen-Journalismus erstreckt zwar die Pressefreiheit auf Menschen ohne Druckpresse, aber das politische Bloggen fußt vielfach im Abschreiben von anderen. Von irgendwo – schreibt der Medienwissenschaftler Eric Alterman im New Yorker – muss die Information ja herkommen. Und meistens sind es die großen Nachrichtenorganisationen, die Bloggern die Grundlagen liefern, indem sie Reporter in Krisenregionen schicken, Akten analysieren, Fakten checken und Nachrichten in eine Form bringen, die der Wahrheit so nahe wie möglich kommt.
Das Bild vom Blogger, der bei Cola und Popcorn in einem abgedunkelten Kämmerchen sitzt und Informationen akkumuliert, stimmt heute allerdings nur mehr bedingt. „In letzter Zeit haben die etablierten Medien die Arbeitsweise der besten Blogger übernommen. Dasselbe passiert jetzt auch umgekehrt: Die Blogger gehen hinaus und recherchieren. Es reicht nicht mehr, auf dem Hintern sitzen zu bleiben und sich Gedanken zu machen.“
Kritisch sieht Dan Casey aus Philadelphia das Ganze. Er begleitet die Filmcrew der Dokumentation „The Delegates“ mit einem täglichen Blog (http://thedelegates.net/). „Ich bin mir nicht sicher, wie groß der Wert der Berichterstattung der Blogger ist. In Wahrheit sitzen hier vier Dutzend Leute und machen das, was sie auch daheim tun könnten: Sie schreiben ab, was sie im Fernsehen sehen.“
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